Wo die Grenze zwischen Wissenschaft und Fantasie verläuft, ist eine Frage, die von jeher den veränderlichen Weltbildern von Orten und Epochen unterworfen war: Was überprüfbarer Fakt ist und welche Information frei erfunden, hat uns in jüngerer Zeit besonders umgetrieben. Im Mittelalter hingegen entstanden ganze Enzyklopädien mit pseudowissenschaftlichen Abhandlungen, die sich allein Chimären widmeten. Der Komponist François Sarhan wandelt in seinen Arbeiten virtuos auf diesem Grat zwischen Wahrheit und Erfindung. Mit dem ensemble mosaik schuf er während des Lockdowns eine Encyclopaedia online, die die Feldfunde der Figur Prof. Henry Jacques Glaçon zugänglich macht. HALSÜBERKOPF ist eine Fortführung dieser Arbeit auf der Bühne und im Film. Sie begibt sich auf die Spuren von Mario Bossi, einem Komponisten, dessen Schicksal es ist, all seine Ideen von Anderen in Werke gegossen zu sehen. Sarhan und das ensemble mosaik arbeiten die anthropologischen Implikationen dieses tragischen Gedankenspiels auf: Was geschieht, wenn Werke im Raum schweben und nach den passendsten Autor:innen suchen? Bedeutet das etwas für den/die Künstler:in, für sein/ihr (Selbst-)Bild und Ego? Ist es tragisch? Skurril? Befreiend? HALSÜBERKOPF ist auch eine Dokumentation über das Verhalten und die Mentalität von zeitgenössischen Musiker:innen. Lässt sich ein Zweifel am Werk auf einen allgemeinen Zweifel an der Überprüfbarkeit von Wahrheiten übertragen? „Das Gift des Zweifels ist zu tief in mich eingedrungen, als dass ich den Werken oder ihren sogenannten Autoren Glauben oder Vertrauen schenken könnte. Aber diese Gedanken beschäftigten mich so sehr, dass ich sie, ohne es zu wollen, auch auf andere Bereiche anwendete.“ (François Sarhan)
ensemble mosaik:
Flöte: Kristjana Helgadottir
Klarinette: Christian Vogel
Klavier: Ernst Surberg
Violine: Chatschatur Kanajan
Viola: Karen Lorenz
Cello: Mathis Mayr
Cello: Niklas Seidl
Klangregie: Arne Vierck
Konzept, Regie, Text & Schnitt: François Sarhan
Lichttechnik: Domenik Engemann
Kamera: Tobias Jall
“halsüberkopf” ist eine Veranstaltung des ensemble mosaik in Zusammenarbeit mit der Klangwerkstatt Berlin und dem Kultur Büro Elisabeth im Rahmen des Performing Arts Festival. Gefördert vom Musikfonds e.V. aus Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der LOTTO-Stiftung Berlin.